
NGS-basierte Analysen: Experten-Exkurs
Bei einer molekulargenetischen Diagnostik werden in erster Linie die Exons (die Genabschnitte, die in Proteine übersetzt werden) untersucht, da sich hier oder in den angrenzenden Sequenzabschnitten ca. 85 Prozent der krankheitsverursachenden Mutationen finden.
DNA-Sequenzierung nach Sanger
Mit der Sequenzierung von DNA bezeichnet man den Vorgang, die Abfolge ihrer kleinsten Bausteine (die mit A, C, G und T abgekürzten Nukleotide, aus denen sich der genetische Code zusammensetzt), zu bestimmen (=sequenzieren). Für die bereits seit Jahrzehnten angewandte konventionelle DNA-Sequenzierung nach Sanger müssen die Exons der Gene, von denen bekannt ist, dass ihre Mutationen zum entsprechenden Krankheitsbild führen können, zunächst mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) einzeln amplifiziert werden: Die Exons werden millionenfach kopiert, wobei die Exons der Patienten-DNA als Matrize dienen. Danach erfolgt eine „Sequenzier-PCR“ (Kettenabbruch-Methode), deren fluoreszenzmarkierte Produkte auf einem Kapillar-Sequenziergerät sichtbar gemacht und dann mit der jeweiligen Normalsequenz eines nicht mutierten Exons abgeglichen werden.
Dieses „Exon für Exon“- und „Gen für Gen“-Vorgehen stößt jedoch bei Krankheiten, die auf Mutationen in großen und/oder vielen Genen (z.B. bei Netzhautdystrophien, Hörstörungen, Entwicklungsverzögerung, Epilepsie) beruhen, rasch an seine Grenzen. Eine genetische Diagnosestellung war daher in der Routinediagnostik bis vor kurzem oft nicht möglich.

Next-generation sequencing (NGS-Verfahren)
Mit der Einführung von NGS-Verfahren in die Diagnostik eröffnen sich seit etwa 2010 neue Möglichkeiten, wenn es darum geht, genetisch bedingte Krankheiten zu erkennen. Zuvor waren diese ausschließlich in der Wissenschaft zur Anwendung gekommen.
NGS bedeutet einen Quantensprung für die Diagnostik genetisch heterogener Erkrankungen, die jetzt umfassend untersuchbar sind. Dabei spielen vor allem Gen-Panels (s. u.), zunehmend aber auch Exom- und Genom-Sequenzierungen, eine Rolle. Bei der Exom-Sequenzierung werden entweder die Exons aller bekanntermaßen mit genetischen Erkrankungen assoziierten Gene (Clinical Exome Sequencing, CES) oder praktisch aller menschlichen Gene (Whole-Exome Sequencing, WES) sequenziert. Bei der Genom-Sequenzierung (Whole-Genome Sequencing, WGS) wird auch der nicht proteinkodierende Anteil des Genoms (99 Prozent) sequenziert. Mutationen in solchen Bereichen können z. B. dazu führen, dass ganze Exons eines Gens von der Übersetzung in das jeweilige Protein ausgeschlossen werden.
Verfahren
Beim NGS-Verfahren geht man dabei – vereinfacht dargestellt – folgendermaßen vor: Die Patienten-DNS, die das gesamte Genom mit etwa 19,000 Genen enthält, wird meist aus einer Blutprobe gewonnen. Bei der Analyse von Gen-Panels werden die Exons der für die jeweilige Erkrankung relevanten Gene (bei Netzhautdystrophien ca. 6,000 Exons) durch Bindung an synthetische Nukleinsäureabschnitte aus der fragmentierten DNA isoliert (sequence capture) und sequenziert.
Der wesentliche Unterschied zur konventionellen Amplifikation und Sequenzierung besteht darin, dass dies simultan und nicht in Einzelreaktionen geschieht. Durch Sequenz-Barcodes sind die Sequenzen eines Patienten diesem eindeutig zuordenbar. Somit können nicht nur hunderte oder sogar tausende Gene eines Patienten parallel analysiert, sondern zudem Proben zahlreicher Patienten „gepoolt“ werden. Die meisten NGS-Plattformen verwenden das Solexa-Verfahren, bei dem die fragmentierte Matrizen-DNA an beiden Enden mit einer Adaptorsequenz ligiert und an einen Träger (flow cell) gebunden wird. Vom Startmolekül ausgehend werden Cluster jeweils gleicher Sequenz gebildet (bridge amplification). In einer sequencing-by-synthesis-PCR mit vier verschiedenfarbig fluoreszierenden Kettenabbruchsubstraten wird das in einem Zyklus jeweils eingebaute (zur Matrize komplementäre) Nukleotid in einem cluster bestimmt (Lichtsignal durch Abspaltung der Fluoreszenzgruppe). Wünschenswert ist eine möglichst hohe Abdeckung (coverage) der Zielsequenzen durch sequenzierte Fragmente, die reads.