Erbliche Tumor­er­kran­kungen

In Deutschland erkranken jährlich etwa 500.000 Menschen erstmals an Krebs. Bösartige Neubildungen sind damit nach den Herz-Kreis­lauf­er­kran­kungen die häufigste Todesursache. Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland ist bis 2030 mit einem Anstieg der Neuerkrankungen um mindestens 20 Prozent zu rechnen. Gleich­zeitig haben sich in den letzten Jahren bei etlichen Krebsarten erhebliche Fortschritte bezüglich Früherkennung und Behandlung ergeben. Dies gilt insbesondere für die häufigen Brust- und Darm­krebs­er­kran­kungen.

Sowohl genetische als auch Umweltfaktoren tragen zu einer Krebserkrankung bei. Bei manchen Krebsarten, wie dem familiären Retinoblastom, einem Netzhauttumor, ist die genetische Komponente von sehr großer Bedeutung, bei anderen wiederum überwiegen äußere Faktoren als Hauptursache (z. B. Rauchen beim Bronchial-, Blasen- und Kehlkopfkrebs). Bei den meisten Krebsarten geht man aber davon aus, dass nur etwa 5-10 Prozent primär genetisch bedingt sind.

Bei den nicht-erblichen Krebs­er­kran­kungen wird eine Körperzelle dadurch zu einer Krebszelle, dass sich im Laufe des Lebens immer mehr Veränderungen (somatische Mutationen) in Genen ansammeln, die für die Wachstumskontrolle der Zelle (Protoonkogene) und die Reparatur von DNA-Schäden (Tumorsupressorgene) wichtig sind. Daher steigt bei allen Menschen mit zunehmendem Lebensalter die Wahrscheinlichkeit für eine Krebserkrankung langsam, aber stetig an. Ursache dieser Genveränderungen sind so unter­schiedliche Faktoren wie kosmische und UV-Strahlung, Tabakrauch, erhöhter Alkoholkonsum, aber auch bestimmte Zwischenprodukte des ganz normalen Zell­stoff­wech­sels (freie Radikale). Durch eine gesunde Lebensweise können wir einige, aber nicht alle dieser Faktoren und damit auch unser Krebsrisiko reduzieren.

Hinweise auf erbliche Krebs­er­kran­kungen

Das familiär gehäufte Auftreten bestimmter Krebsarten hat schon seit langem darauf hingewiesen, dass in einigen Familien genetische Faktoren eine herausragende Rolle spielen. In diesem Fall spricht man von einer genetischen Disposition für die betreffenden Tumoren. Grundlage einer erblichen Tumordisposition sind wiederum Mutationen, die Protoonkogene und Tumorsupressorgene betreffen. Im Gegensatz zu den nicht-erblichen Krebs­er­kran­kungen sind diese aber nicht im Laufe des Lebens in einzelnen Körperzellen entstanden (somatische Mutationen), sondern waren bereits in einer der beiden zur Befruchtung gelangten elterlichen Keimzellen vorhanden (Keimbahnmutationen). Die aus einer solchen befruchteten Eizelle entstandenen Menschen tragen daher nicht nur in einzelnen, sondern in allen Körperzellen die entsprechende Genveränderung. Meist wurden diese von einem Elternteil ererbt, selten können sie bei der Bildung von Ei- oder Samenzelle auch erst in diesen neu entstanden sein (Neumutation).

Die veränderten Protoonkogene oder Tumorsupressorgene sind nicht in allen Organen und Geweben gleich wichtig. Dies bedeutet, dass bei Trägern von Mutationen in solchen Genen nicht für sämtliche Organe erhöhte Krebs­wahr­schein­lich­keiten bestehen, sondern manche Organe stark, manche leicht und manche nur durchschnittlich gefährdet sind. Das Wissen darum ermöglicht zum einen eine gezielte Früherkennung, zum anderen kann bei manchen Krebsarten die prophylaktische Entfernung besonders gefährdeter Organe eine Option sein (z. B. Entfernung der Schilddrüse beim erblichen medullären Schild­drü­sen­krebs).

Genetische Diagnostik & Früherkennung

Wichtige Hinweise für eine erbliche Krebserkrankung sind ein geringes Erkrankungsalter, mehrere Menschen in einer Familie mit gleichen oder assoziierten Krebsarten, sowie mehrfache Neuerkrankung an der gleichen Krebsart. Bei manchen Krebsarten weisen auch bestimmte Auffälligkeiten bei der Untersuchung des Tumorgewebes auf eine erbliche Ursache hin. Der Erbgang entspricht bei den meisten Tumorarten einer autosomal-dominanten Erkrankung mit hoher Penetranz. Manche Krebsdispositionen können aber auch einem anderen Vererbungsmodus folgen (z. B. autosomal-rezessiver Erbgang bei der erblichen polypösen Darmkrebsform MAP).

Die Erkran­kungs­wahr­schein­lich­keit im Verlauf des Lebens kann bei manchen Krebsarten nahezu 100% erreichen, liegt jedoch meist mehr oder weniger deutlich darunter. Genetische Beratung und mole­ku­lar­ge­ne­ti­sche Diagnostik bei erblichen Tumor­er­kran­kungen sind ein Schwerpunkt des Sencken­berg Zentrums für Humangenetik. Zu diesen Erkrankungen zählen unter anderem der erbliche Brust- und Eierstockkrebs, die verschiedenen Formen erblichen Darmkrebses (z. B. HNPCC/ Lynch-Syndrom, FAP, MAP), der erbliche Magenkrebs (HDGC) wie auch Tumor-Syndrome, bei denen eher seltenere Tumorarten auftreten (z. B. Li-Fraumeni- und Cowden-Syndrom). Wird bei der mole­ku­lar­ge­ne­ti­schen Diagnostik eine ursächliche Mutation aufgedeckt, ermöglicht dies nicht nur eine gezielte Früherkennung bei den Betroffenen (s. o.). Es können dann auch nicht-betroffene Familienmitglieder auf diese „familiäre“ Mutation untersucht werden.

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